19:00
Der Regen hat endlich mal aufgehört – also nichts wie los nach Miami Beach. Wir haben die letzte Tageslichtstunde genutzt, um wenigstens ein bisschen am Strand zu sein, sind danach aber direkt in eine Bar gegangen, um den Tag mit ein paar Drinks ausklingen zu lassen. Auf dem Rückweg laufen wir noch einmal über den Ocean Drive. Die berühmte Strandpromenade, die in so ziemlich jedem Miami-Fernsehbeitrag zu sehen ist. Viele kleine Bars und Restaurants mit grellen Neon-Schriftzügen – und ein paar alte Ami-Schlitten für das kubanische Flair.
Wir stehen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, ich knipse gerade ein paar Fotos, als sich plötzlich eine Menschentraube vor einer Bar bildet. Natürlich gehen wir rüber – Neugier und so. Wir sehen noch, wie die letzte von vier sehr großgewachsenen Drag Queens ihren Auftritt beendet. Und während ich realisiere, dass wir direkt vor einer Schwulenbar stehen, dröhnt die Moderator*in mit erstaunlich tiefer Stimme ins Mikro: „We need one gay and one straight guy for the next round… oh oh oh, I’m looking at Superman right now!“
Tja. Ich trage ein Superman-T-Shirt. Bis eben mochte ich es eigentlich ganz gerne. Ich will kein Spielverderber sein, also gebe ich Luis meine Kamera und gehe nach vorne.
Die vier Grazien sind nicht nur dank ihrer High Heels einen Kopf größer als ich, sie haben auch etwa das 1,5- bis 2-Fache meiner Körpermasse. Die Moderatorin dirigiert mich auf eine Seite der Menge, meinen Kontrahenten – einen Kellner der Bar – auf die andere. Dann erklärt sie die Spielregeln.
Nee, ne?! Das machen wir jetzt nicht wirklich …
In der Hoffnung, mich verhört zu haben, frage ich einen der Gäste, was genau ich tun soll. „Oh nooo! Sag jetzt bitte nicht, dass du kein Englisch sprichst“, brüllt die Moderatorin und marschiert auf mich zu. „Nein, nein, die Sprache ist kein Problem. Ich hab nur nicht ganz verstanden, was genau ich machen soll.“ (Klar hab ich’s verstanden. Ich hoffe nur noch auf eine kleine Restchance, dass ich mich verhört habe.)
„Look honey“, sagt sie, „der Bürgersteig ist unser Catwalk. Du gehst da entlang und gibst alles. Unsere Friends hier sind die Jury. Versuch, sie auf deine Seite zu bringen.“ Sie macht’s mir vor: ein fast zwei Meter großer Typ in High Heels, mit Tina-Turner-Perücke und silberglitzerndem Presswurstkleid stemmt die Hand in die Hüfte und schiebt den Hintern in die Gegenrichtung. „Okay honey, just like that.“
Ich versuche es. Die Menge grölt. „Sehr gut, sehr gut. Und jetzt läufst du bis ganz nach hinten – und bringst die Leute zum Klatschen.“
Ich bin verdammt froh, dass es dunkel ist. Vielleicht erkennt man nicht, wie hochrot mein Kopf gerade ist. In diesem Moment geht das Spotlight an. Yikes. So viel zum „nicht auffallen“.
Zum Glück hatte ich vorhin nicht nur Bier, sondern auch ein paar Cocktails – das macht mich zwar nicht eleganter, aber vielleicht ein bisschen lockerer als sonst.
Ich mache die ersten Schritte. Es geht los. Zum Glück blendet mich das Licht so sehr, dass ich niemanden angucken muss. Es ist nicht mein Lieblingserlebnis, möglichst feminin über einen Catwalk zu laufen, während 50–60 schwule Männer jubeln. Und vermutlich war ich nicht der Einzige, der vorher was getrunken hat …
Yes, die Hälfte ist geschafft. Gleich vorbei. „Don’t stop now, Superman! Show us what you got!“
Jaja, ich mach ja schon …
Ich beschleunige. Und dann ist es endlich vorbei. Ich wünsche dem Kellner viel Glück. Als er losgeht, finde ich es plötzlich wieder ganz witzig. Solange ich nur zugucke, ist das wirklich eine lustige Show. Der Typ stellt jeden Casting-Show-Juror in Sachen schwungvoller Hüftschwung locker in den Schatten.
Die Menge grölt – und mein Kontrahent fühlt sich sichtlich wohler als ich.
Die Musik verstummt, ich will zur Mitte zurück. „No, no, no! Not so fast. One more round. Halfway. Both of you.“
Das wäre ja auch zu schön gewesen, wenn es jetzt schon vorbei wäre.
Also nochmal. Halb so weit, diesmal gemeinsam. Ich rede mir ein, dass jetzt sowieso alle auf den Kellner schauen. Es geht deutlich leichter.
Jetzt wird abgestimmt. „Okay guys, make some noise if you think our straight friend here did the better job!“
Yep. Das war laut. Und ganz ehrlich: Normalerweise will ich bei jedem Wettbewerb gewinnen. Immer. Jetzt bin ich mir nicht sicher, ob ich das wirklich will. Sollte mir das schmeicheln … oder ist es einfach nur unangenehm?
Die Menge jubelt auch für den Kellner, aber anscheinend nicht laut genug. Tina Turner ruft mich zum Sieger aus.
Yay? Oder eher … ähhh.