11:00
„Hat einer von euch noch nie auf einem Pferd gesessen?“ Ich hebe die Hand und mache zwei kleine Schritte nach vorn. Ganz stimmt das eigentlich nicht – in der 6. Klasse wurde ich auf einer Klassenfahrt mal von einer Mutter dreimal auf einem Pferd durch eine Scheune geführt. Oder war’s nur ein Pony? Egal. Ich fand’s damals jedenfalls ziemlich groß.
Mein Pferd für heute heißt Charlie (und ja, ich bin bereit für meinen Trip zum Candy Mountain). Aufsitzen geht überraschend einfach, und laut unserem Guide ist Reiten genauso simpel. Meine Einweisung lautet: „Halt dat Seil hier gut fest. Wenne nach links wills, ziehses nach links. Wenne nach rechts wills, ziehses nach rechts. Zum Bremsen ziehse Richtung Brust, und wenn der Gaul dir zu langsam is', hauste ihm ordentlich die Hacken in die Seite!“ (Ja, der Guide hat das nicht auf Deutsch gesagt – aber das hier trifft seinen Ton ganz gut.)
Normalerweise nutze ich die Wochenenden für günstige Ausflüge: mit dem Bus in den Nationalpark, zu Wasserfällen oder auf abgelegene Brücken. Denn wenn ich jedes Wochenende eine Touristensause mache – Bungee, Bootstour, Quads – ist mein Geld nach zwei Monaten weg.
Aber heute gönn ich mir was. Mit einer Freundin mache ich „The Big 3“: Zuerst wandern wir auf einen Berg, dann sausen wir an Zip-Lines runter und schließlich reiten wir zu einem Wasserfall, um ihn runterzuklettern. Alles macht Spaß – aber ich ahne noch nicht, dass das eigentliche Highlight noch kommt.
14:00
Ich sitze in nasser Badehose und mit nassen Schuhen auf meinem neuen Buddy Charlie. Ich denke, wir trotten jetzt 15 Minuten Richtung Stall zurück. Easy.
Der Guide meint, es dauert eher 30 bis 45 Minuten – es sei denn, wir wollen schneller reiten. „Schneller ist immer gut!“, rufe ich. Und bereue es schon Sekunden später.
Der Satz ist kaum raus, da stimmt der Guide mir zu – und galoppiert los. Ich versuche hinterherzukommen und werde dabei auf dem Pferd von links nach rechts geschleudert. Ich habe Mühe, mich überhaupt festzuhalten. Zwei, drei Mal bin ich kurz davor runterzufliegen.
Kaum habe ich mich halbwegs an das Tempo gewöhnt, rauscht Kathleen, die Freundin, mit der ich unterwegs bin, auf ihrem weißen Ross an mir vorbei.
Nee nee, das muss gar nicht sein. Ich kann auch mal langsamer sein als das Mädchen. Ich finde, ich bin schon ganz schön schnell.
Aber Charlie sieht das anders. Und obwohl ich erst seit 20 Minuten überhaupt im Sattel sitze, geht er in den Galopp über. (Das zeigt übrigens, wer hier das Sagen hat – Spoiler: nicht ich.)
An sich finde ich das Tempo super – wenn nur mein Körper besser dafür gemacht wäre. Ich werde hoch, runter, links, rechts durchgeschüttelt. Meine Bewegungen scheinen exakt gegen die des Pferdes zu arbeiten, und meine Weichteile werden systematisch noch weicher geklopft. Ich bin wieder mehrfach kurz vorm Abflug, bis ich es irgendwann ein bisschen in den Griff bekomme.
Während der Guide quer durch eine Kuhherde pflügt und Kathleen ständig neue, unwegsame Pfade ausprobiert, versuche ich, auf flachem Boden zu bleiben. Solange, bis der Guide ruft, dass wir die Tiere bald nicht mehr bremsen können – sie wissen, dass gleich Wasser und Schatten warten.
Und zack, geben die Pferde nochmal richtig Gas. Es geht auf dem kürzesten Weg zurück – hoch, runter, durch Gras, eng an Bäumen vorbei, durchs Gestrüpp. Als wir endlich am Stall ankommen, bin ich restlos begeistert.
Irgendwann will ich das nochmal machen. Aber heute? Heute reicht’s.
Aua!