Die Weste
Ich stehe an der Hauptstraße von Jacó und versuche, sie zu überqueren. Gerade ist so viel Verkehr, dass ich wohl noch 30–40 Sekunden warten muss. Neben mir steht ein … äh … Mann. Mit den Zähnen und dem Dreck im Gesicht könnte er als Obdachloser durchgehen. Mein persönliches Highlight ist aber seine Vokuhila.
Nach weiteren 20 Sekunden warten fängt er an zu schimpfen. Ziemlich laut. Dann greift er in seine Tasche, zieht eine neongelbe Warnweste raus, zieht sie über – und läuft einfach mitten auf die Straße. Mit ausgestreckten Armen stoppt er die Autos, dreht sich zu mir und ruft: „Let’s go!“
Jacó halt.
Auf dem Klo
Ganz Jacó ist voller Touristen, in jeder Bar wird abends mehr Englisch als Spanisch gesprochen. Auch die Musik ist die gleiche wie zu Hause. Um mal was anderes zu erleben, gehen wir in einen Tico-Club – also ein Laden, in dem fast nur Einheimische sind.
Wie sauber (oder eben nicht) der Laden ist, sieht man zum Glück kaum – es ist ziemlich dunkel. Auf der Toilette hingegen ist Licht. Und das zeigt mehr, als man sehen möchte. Es ist nicht die schlimmste Toilette, die ich je gesehen habe (diesen Titel hält weiterhin der McDonald’s an der Weselerstraße in Münster), aber sie kommt nah ran.
Toilette ist übrigens übertrieben. Da ist ein Steinbecken, in dem neben Dosen, Bechern, Gläsern und mindestens einem Kondom noch mehr Dinge liegen, die ich lieber nicht näher betrachte. Spülung? Fehlanzeige. Das Wasser kommt direkt aus dem Waschbecken – clever könnte man sagen. Könnte. Denn das Becken ist so siffig, dass ich nicht glaube, dass meine Hände davon sauberer werden. Also: nicht waschen.
Da bin ich sicher nicht der Einzige. Und entsprechend selten wird das Becken durchgespült. Lecker.
Heute ist’s aber besonders spannend: Vor dem Klo ist nur eine schmale Saloon-Tür – man sieht also genau, ob jemand drin ist. Ich will gerade rein, als der Typ drinnen sich nicht bewegt, sondern mich fragt, ob ich an Drogen interessiert bin. Auf Englisch erkläre ich ihm, dass mein Fokus gerade eher auf dem Entleeren meiner Blase liegt. Das interessiert ihn wenig. Stattdessen erzählt er mir, dass er das beste Gras in ganz Jacó verkauft.
Ich versuche es auf Spanisch: „No gracias, no quiero marihuana.“ Verstanden hat er’s – aber jetzt zählt er mir auf, was er sonst noch so hat. Ich will doch einfach nur pinkeln!
Leider komme ich auch nicht an ihm vorbei, so eng ist es. Dann kommt ein Dritter – der scheint interessiert. Die beiden verhandeln über Preise, ich gebe auf, drehe mich um und gehe zurück zur Tanzfläche. Bis nach München, ein Weißbier und zurück halte ich auch noch aus.
Jacó halt.
Die schwarze Frau
Mitten am Tag laufe ich nichtsahnend über die Hauptstraße, als mich plötzlich eine ältere, tiefschwarze Frau am Arm packt und mit krächzender Stimme auf mich einredet. Sie hat eine normale Figur – bis auf ihren riesigen Bauch. Kein Schwangerschaftsbauch, eher so, wie man es aus Berichten über Mangelernährung kennt.
Bevor ich verstehe, was passiert, zieht sie mich unter ein Souvenirladen-Vordach, greift mit der anderen Hand ein paar T-Shirts und hält sie mir direkt vor die Nase. „Sind die nicht schön? Toll, oder? Und gar nicht teuer – du solltest welche kaufen!“
Ich muss ziemlich verstört aussehen, denn sie fängt laut an zu lachen und ruft: „Keine Angst, Junge! Der Laden gehört gar nicht mir. Aber die T-Shirts sind so schön, oder?!“
Ich bringe kein Wort raus, starre sie einfach nur an. Was passiert hier gerade?
Die echte Verkäuferin kommt aus dem Laden, schaut irritiert. Auch sie versteht nicht, was hier abgeht. Die alte Frau lacht noch lauter, dreht sich um, krächzt noch einmal – und verschwindet.
Die Verkäuferin und ich schauen uns an, zucken mit den Schultern – und ich gehe weiter. In die entgegengesetzte Richtung. Sicher ist sicher.
Jacó halt.